Enricos Reisenotizen
Soho in Ottakring
Es scheint, als ob der Sandleitenhof schon immer etwas Besonderes gewesen ist. Ich als Floridsdorferin habe Jahrzehnte gebraucht, um ihn kennen zu lernen und dann auch nur ein Stück davon. Das ist aber auch etwas Besonderes.
Der Sandleitenhof in Ottakring war der erste Versuch des Roten Wiens eine Stadt in der Stadt zu schaffen – lange vor der Seestadt in Aspern. Rund 1.600 Wohnungen wurden im damals größten Gemeindebau für an die 5.000 BewohnerInnen geschaffen. Es gab 75 Geschäfte, 58 Werkstätten, 71 Magazine, 3 Ateliers, 3 großangelegte Bade- und Wäschereianlagen, 3 Kindergärten, 1 Apotheke, 1 Postamt, 1 Café, 1 Theater – und Kinosaal mit 600 Plätzen und eine Städtische Bücherei. Dazu kam der benachbarte große Kongreßpark mit einer Milchhalle und einem Sommerbad mit einem 100 Meter langen Schwimmbecken, zur damaligen Zeit das größte Europas.
Die Wohnhausanlage schloss an den Industriegürtel entlang der Vorortelinie an, wo viele BewohnerInnen ihren Arbeitsplatz fanden. Man bemühte sich augenscheinlich schon damals die Idee der kurzen Wege in der Stadt umzusetzen.
Ich habe den Sandleitenhof und damit Soho in Ottakring erst vor kurzem für mich entdeckt. Erst 2019 bin ich durch eine Pressemitteilung über eine Ausstellung über die „Freie Meinung in Zeiten des Populismus" aufmerksam geworden und war ins Alte Kino im Sandleitenhof gekommen. Damals machte alles noch einen ziemlich renovierungsbedürftigen Eindruck, aber die Videoinstallationen, Fotocollagen, Comics und Texte haben mir gefallen und ich fand es wichtig und richtig so eine Ausstellung zu machen.
Klarerweise bin ich dann der Einladung heuer gefolgt, die nicht nur die neue Ausstellung, sondern auch die renovierten Räume präsentierte und ja, es war wieder sehenswert.
Es hat sich einiges zum Guten verändert – in den Soho Studios. Frisch ausgemalt, technisch ausgestattet und natürlich renoviert präsentieren sich die Räumlichkeiten, die man für verschiedene Zwecke auch mieten kann, nun. Im neuen „Kunstlabor", einer Säulenhalle mit 590m2 und dem „Freiraum" findet das künstlerische Programm von Soho in Ottakring statt. Hier soll ein offener Raum mit Beteiligungsangeboten an die Nachbarschaft entstehen, der auch für verschiedene Zwecke angemietet werden kann.
Außerdem gibt es nun einen neuen Unterrichtsraum für die kunstschule.wien, die ein Kooperationspartner von Soho in Ottakring ist und dann sollte man noch das „Public Food Desing Labor" erwähnen, das vom „Produktionskollektiv Wien" genutzt wird und sich mit dem Thema der gesunden Ernährung beschäftigt. Zusätzlich bieten sechs Werkstätten KünstlerInnen aus verschiedenen Bereichen Platz für ihre Arbeiten. Bei unserem Besuch konnten wir kurz bei einer Bildrestauratorin vorbei schauen und ihre Arbeit bestaunen.
Gleichzeitig wurde die Ausstellung „Wie ist das mit dem guten Leben?" eröffnet, die auch die Bewohner des Sandleitenhof eingebunden hat.
So fragte das Projekt von Hanna Schimek in „Das Rote Wien_Revisited" was man aus der ArbeiterInnengeschichte von damals für die Herausforderungen von heute eventuelle lernen kann. In einem Workshop erarbeiteten zehn interdisziplinär Künstler gemeinsam an der Auslotung imaginierter und visionärer Formen des Arbeitens und Wohnens.
Hansel Sato schuf mit seinen Studierenden drei kollaborative Projekte mit den Namen „Happy Tagebuch", „Glücksbox" und „Es ist das Wasser!", die sich mit der gesellschaftlichen und kulturellen Dimension von Glück auseinandersetzten.
Mit „Para_Deis" war ein sozial-kulturelles Projekt vertreten, das sich mit der Frage nach dem persönlichen Paradies im Wohnumfeld auseinandersetzte. Das Paradies wird in persischer Tradition als ein Garten Eden gesehen, der von allen Arten an Pflanzen und Tieren bevölkert sein kann. Ist hier also das gute Leben? Im wahrsten Sinne des Wortes im Garten, wo auch Paradeiser wachsen können, auf die auch der Name des Projekts Para_Deis verweist.
Das letzte Projekt – jenes von Franzi Kreis – hat mich am meisten berührt und begeistert. Sie zeigte eine Sammlung mit emotionalen, nostalgischen und zukunftsweisenden Porträts von BewohnerInnen des Sandleitenhofs im Sommer dieses Jahres. Wunderbare Fotos, die immer zur magischen blauen Stunde in der Nachbarschaft des Sandleitenhofes entstanden, zeigen die Originale die hier leben und nicht nur die „Wiener" Mischung im Sandleitenhof ausmachen, sondern in ganz Wien.
Typische Wiener Originale, Zuwanderer, Optimisten und Pessimisten, Pensionisten und Jugendliche – alle sind hier mit dabei und sinnieren über Glück und Unglück. Ich hätte nicht gedacht, dass es doch relativ einfach war, die BewohnerInnen zum Mitmachen zu bewegen, aber – so versicherte mit die Künstlerin Franzi Kreis – war bald die Distanz gebrochen und es entwickelte sich ein ganz erstaunliches Kunstprojekt. Mein großer Favorit bei meinem Besuch.
Leider ist die Ausstellung bereits vorbei, aber in den Soho Studios in Ottakring ist (fast) immer etwas los: zum Anschauen, zum Zuhören, manchmal auch zum Mitmachen oder Mitspielen. Am besten ihr schaut hin und wieder auf der Website vorbei und sucht euch etwas aus: www.sohostudios.at und www.sohoinottakring.at
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