Enricos Reisenotizen
Ein Spaziergang in die Kindheit …
Bei meinem Weg auf den Spuren Beethovens bin ich auch an vielen Plätzen meiner Kindheit vorbeigekommen. Zeit nachzuschauen, wie das alles heute aussieht und ein bisschen in Erinnerungen zu schwelgen…
In Floridsdorf hat sich seitdem natürlich vieles geändert, vieles ist aber auch gleich geblieben. Begleitet mich auf meinem Rundgang. Vielleicht wird sich ja auch der Eine oder die Andere noch an die Plätze von früher erinnern.
Und es wird weitergebaut: Das Florasdorf am Anger entsteht …
Der Bahnsteig
Auf dem Weg zum Bezirksmuseum bin ich an jener Stelle vorbeigekommen, die ich in zarter Kindheit immer in der Früh mit meiner Mutter bewältigen musste – der Bahndamm. Von der Weisselgasse aus, wo wir wohnten ging es in der Früh immer zu meiner Großmutter in die Prager Strasse. Wo heute neue Wohnanlagen stehen, war früher Schienen und eine Holzbrücke darüber. Heute erinnert daran nur mehr die Bahnsteiggasse.
Das Bezirksmuseum und ein wichtiges Denkmal
Diesmal laufe ich aber nicht Richtung Post und Brünner Straße, sondern wende mich dem Bezirksmuseum zu. Vor dem Mautner Schlössel, das nun die Heimat des Museums geworden ist, findet sich seit dem Jahr 2000 ein Denkmal, das mich ziemlich berührt hat. Ich wusste nämlich nicht, dass in Floridsdorf und hier auch in unmittelbarer Umgebung sogar mehrere Außenlager des Konzentrationslagers Mauthausen waren. Dieses dreiteilige Denkmal erinnert an die Befreiung derselben.
Auf dem Gelände des heutigen FAC-Platzes war ein Häftlingslager und in der Hopfengasse 22, nicht weit von meiner Wohnung und auch der damaligen Wohnung meiner Großmutter entfernt, war sogar die Kommandantur untergebracht. Obwohl ich mir sicher bin, dass meine Großeltern nichts mit Hitler am Hut hatten, darüber wurde nie gesprochen. Und doch mussten sie es gewusst haben. Meine Oma erzählte wie sie als junges Mädchen zur Hofburg fuhr, um die Wachablöse und vielleicht auch hin und wieder den Kaiser zu sehen. Oder wie sie meinen Opa vor Soldaten gegen Ende des 1.WK versteckte. Auch mein Großonkel hat öfters erzählt, wie Anhänger von Heimwehr und Schutzbund in derselben Zelle saßen – von Nazis eingesperrt – und noch immer stritten. Aber keiner erwähnte je die Zwangsarbeiter …
Oder habe ich das verdrängt?
Viele Häftlinge kamen noch in den letzten Tagen des Krieges um, als sie wegen des Vorrückens der Roten Armee noch am 1. April 1945 auf einen Evakuierungsmarsch nach Mauthausen geschickt wurden.
„Niemals vergessen" – steht auf dem Denkmal geschrieben. Zuerst müssen wir allerdings darüber sprechen und die Tatsachen erfahren.
Vor dem Museum steht noch ein weiteres interessantes Gebilde: „Die kleine Pyramide", wobei dieser Name in meinen Ohren etwas hochtrabend für das Gestell klingt. Als Erklärung ist auf einer Tafel das Folgende vermerkt, was mich aber ehrlich gesagt auch nicht weiterbringt. (Gerne ergänze ich den Artikel, so es mir jemand unter Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! erklären kann):
„Historisches Signal zur richtungsmäßigen Bestimmung von Triangulierungspunkten (TP) im staatlichen Festpunktfeld. Dieser Signaltyp stand bis zum Jahr 1995 in Verwendung. Errichtet über der Stabilisierung des TP 534-41 (KT-Stein)"
Also, anyone, any idea???
Ich laufe am Mautner Schlössl vorbei – im Moment lohnt es sich nicht bei meinem Lieblingseisgeschäft, dem Benner vorbeizuschauen, er hat leider schon geschlossen – und nehme den Weg durch die Galvanigasse. Schon bin ich beim nächsten Schlössl angelangt: dem Galvani Schlössl. Irgendwie hatte ich in Erinnerung, dass das Haus früher einmal nach einem weiteren Großonkel von mir benannt war, bzw. die Volkshochschule darin, aber ich kann mich irren.
Die Blut Christi Kirche
Dafür fällt gleich die Blut Christi Kirche in mein Blickfeld, die durch eine spezielle Architektur glänzt. Architekt war der Stadtbaurat Alfons Leitl, der sich für die Kirche etwas Besonderes einfallen lassen musste, damit sie nicht vom monumentalen Karl Seitz Hof (der Gartenstadt) erdrückt würde.
So entstand in der Jahren 1962 bis 1964 eine rechteckige Kirche mit einem zentrierenden Zeltdach, deren Wände fiigran aufgelöst, die aber trotzdem nur wenig Licht durchlassen und so eine mystische Atmosphäre im Inneren entsteht. Weithin sichtbar ist der alleinstehende und spitz zulaufende Turm.
Damit wirkte die Blut Christi Kirche immer moderner als die traditionelle Lorettokirche, was sich auch in ihren Programmen durchschlug. Wenn ich mich richtig erinnere wurden hier auch die ersten „Jazzmessen" gefeiert. Unmöglich, diese „Negermusik" damals in der Lorettokirche zu spielen.
Der Karl Seitz Hof, die Gartenstadt
In meiner Familie war immer nur von der Gartenstadt die Rede, wobei ich mir als Kind darunter immer etwas anderes als einen riesigen Gemeindebau vorgestellt hatte. Dennoch: Bauten wie diese waren – und sind teilweise noch – der Stolz des Roten Wiens. Hier fanden nicht nur viele Menschen eine Wohnung, hier bemühte man sich auch in der Gestaltung der Innenhöfe etwas Grün in den monumentalen Wohnbau zu bringen.
Die Gartenstadt war aber auch Kampfschauplatz im Februar 1934 zwischen dem Republikanischen Schutzbund der Sozialdemokratischen Partei und der bürgerlichen Heimwehr. Erst der Beschuss durch einen Panzerzug des Bundesheeres brachte die Gegenwehr am 14. März 1934 zu Fall und damit in die Gartenstadt in die Hände der Regierungstruppen.
Ich nähere mich der Gartenstadt von der Galvanigasse, laufe die Edisonstraße entlang und sehe den Schreitenden von Wilhelm Frass. Eine angebrachte Tafel erzählt, dass der Bildhauer während der Nazizeit zahlreich Hitlerbüsten, Hakenkreuze und Kriegsdenkmale geschaffen hat und auch an der Entfernung „jüdischer" Kunstwerke im öffentlichen Raum beteiligt war.
Wer nun durch den Torbogen des Karl Seitz Hofes geht und diesen von der Jedlerseer Straße betrachtet, erblickt das Denkmal von Karl Seitz, dem Wiener Bürgermeister. Auch diese Büste ist von einem Künstler geschaffen, der keineswegs ablehnend dem Hitler-Regime gegenübergestanden hat: Gustinus Ambrosi. Allerdings verstand er es ausgezeichnet, sich später den neuen politischen Gegebenheiten anzudienen und seine Vergangenheit vollkommen zu vergessen, wobei er diese „Wendigkeit" bereits als früherer Anhänger des dollfußschen Ständestaats bewiesen hatte. Man kann sich daher eigentlich nur Jan Tabor anschließen, der Ambrosi den „prominenten Bildhauer sämtlicher österreichischer Staatsformen dieses Jahrhunderts" nannte.
Interessant, dass gerade eine Parade-Bauwerk des Roten Wiens von Werken zweier Bildhauer mit zweifelhafter politischer Vergangenheit geschmückt wurden. Wobei ich es als richtig erachte, solche Werke an ihren Platz zu belassen, sie jedoch immer mit aufklärenden Texten versehen sein sollten, egal ob es sich um die dargestellten Personen oder um die Künstler handelt.
Das Landgut der Gräfin Erdödy
Ich wandere weiter Richtung Landgut der Gräfin Erdödy und komme nicht nur an vielen schönen Hausfassaden vorbei, sondern auch an der ehemaligen Schokoladefabrik. Ich habe zwar keine Ahnung mehr, welche Schokolade (Bensdorp?) hier produziert wurde, aber der Duft liegt immer noch in der Nase.
Hausfassaden
Die Hausfassaden sind vielleicht nicht unbedingt künstlerisch wertvoll, dennoch: ich liebe sie. Hier gibt es etwas zu schauen. Kein Haus gleicht dem anderen, Ornamente, Gesichter, Blumenranken schmücken die Häuser. Immer wieder bin ich traurig, wenn eine dieser alten Fassaden aus Geldmangel fällt und das übliche glatte Gemäuer aufgezogen wird. Wie unkreativ! Damit ihr wisst, welche künstlerischen Schmuck es in diesem Bezirk gibt, eine kleine Auswahl, die hier auf engstem „Grätzl" zu finden sind.
Toni Strobl und der Leberkäse
Also eigentlich hat Strobl nichts mit Leberkäse zu tun. Es ist nur die geografische Nähe.
Toni Strobl war einer der "Drei Spitzbubn", die jahrzehntelang die Wiener und auch meine Eltern beim Heurigen mit Gstanzln, Witze und Parodien unterhielten. Wer heute auf Flohmärkten nach LPs stöbert, kann die eine oder andere Aufnahme der Drei finden. Aber Achtung: um die Pointen zu verstehen, sollte man in jedem Fall des "Wienerischen" mächtig sein. Mit dem Toni Strobl Platz hat man dem Wiener Original ein Denkmal gesetzt.
Blickt man nun in die Anton Störckgasse Richtung Prager Straße sieht man das Nachfolge-Geschäft von Schullers Leberkäse. Leider hat Schuller alle seine Geschäfte geschlossen, ABER es gibt einige Nachfolger, die den Leberkäse nach seinem Rezept anbieten - und ihr könnt sagen was ihr wollt: dieser Pferdeleberkäse ist einfach der Beste. Empfehlenswert ist es auch, sich einen reschen Anschnitt ins Semmerl legen zu lassen. Einziger Kritikpunkt: die Semmeln könnten manchmal etwas rescher sein...
Probiert es einmal aus: Fast Food at his best!
Die Neue Mittelschule in der Deublergasse
Ein kleiner Abstecher bringt mich zur Deublerschule und zum Hort. Die frühere „Hauptschule" ist heute eine Neue Mittelschule und wurde nach Franz Jonas, dem ehemaligen Wiener Bürgermeister und Präsidenten des Landes benannt.
Immerhin wurde dieser – nur wenige Schritte entfernt – im selben Haus geboren, in dem meine Großmutter später lebte und ich einen Großteil meiner Kindheit und Jugend verbracht habe. Leider wurde das Haus mit seinem schönen Innenhof und den alten Bäumen auch abgerissen und nun steht hier ein neuer moderner Wohnblock. Die Gedenktafel fehlt mir noch, dafür wurde der Gemeindebau vis à vis renoviert und nach ihm benannt.
Franz Jonas ist auch hier Namensgeber
Apropos Gemeindebau: er steht eigentlich erst am Ende meiner Runde, aber wenn wir hier schon von ihm sprechen:
In diesem Gemeindebau wohnten nicht nur einige meiner Schulkameradinnen (ja, damals gab es nur reine Mädchenklassen), sondern er war auch ein beliebter Ort zum Rollschuh fahren. Diese meine Rollschuhe hatten damals 4 Rollen pro Fuß, allerdings nicht hintereinander in einer Linie, sondern jeweils 2 links und 2 rechts und wurden an den normalen Schuh angeschnallt.
Und das waren die Rollschuhbahnen:
Am Ende des Weges war nämlich kein Tor und kein Gitter, sondern die sogenannte Klopfstange, die eigentlich dazu da war, einen Teppich über die Standen zu hängen und ihn dann mit einem Teppichklopfer vom Staub zu befreien. Wir liebten es nun, diesen schmalen Weg bergab zu fahren, noch kräftig Gas zu geben und uns dann bei der Stange abzufangen und ein wenig durch die Luft zu wirbeln. Sehr zum Leidwesen des damaligen Hausmeisters, der uns nicht einmal vertrieben hat – aber das wäre heute wahrscheinlich ähnlich.
Auch der Käfig für die „Ballesterer" – also die Fußballfans war damals schon vorhanden. Allerdings ohne Basketballkorb und Fußballtor.
Die Volksschule in der Schillgasse
Nun aber zu einem weiteren "Highlight" meiner Kindheit: meine Volksschule. Das Gebäude schaut außen (und zum Teil auch innen – es ist noch immer mein Wahllokal) noch genauso aus wie in meiner Kindheit.
Nur der Hof hat mich überrascht. Eine Rutsche und Schaukeln wären in meiner Zeit undenkbar gewesen. Außerdem habe ich noch ein eigenartiges Gebilde gesehen: Wird hier vielleicht gar Quidditch gespielt?
Die Jedlerseer Madonna
Eine Runde drehe ich noch an der Madonna vorbei zur Lorettokirche. Sie weist den Weg zur Kirche. Seit ich denken kann, wird sie immer mit frischen Blumen versorgt.
Die Loretto Kirche und das Maria Theresienschlössl
Hier bin ich zur Kommunion gegangen und hier wurde auch meine Tochter getauft. Irgendwie ist es eine heimelige Kirche, in der man sich wohl fühlt.
Auf der anderen Straßenseite ist wieder ein Schlössl: das Maria Theresienschössl, das jetzt das Pfarrheim Loretto beherbergt. Schön, dass es nicht wie geplant der Spitzhacke zum Opfer gefallen ist.
Am Beginn der Lorettowiese kann man sich nun sportlich ertüchtigen und den großen Kinderspielplatz habe ich auch schon mit meinem Enkel zu seiner Zufriedenheit getestet. Ein Stückchen weiter sind die Scater zuhause – um diesen Platz wurde bezirksintern auch recht lange gekämpft. Einigen Leuten wären Parkplätze einfach lieber gewesen.
Der Aupark
Schnell noch beim Columbia-Platz vorbei zum Aupark. Es ist ein kleines letztes Stückchen Wildnis, wobei: so wild ist es auch wieder nicht. Trotzdem kann man hier herrlich zwischen den alten Bäumen durchspazieren oder sich auf einen Bänkchen niederlassen.
Wenn die Sonne scheint und die Vögel zwitschern hat man das Gefühl weit weg von der Großstadt zu sein. Einige große „Gruben" verweisen noch auf die kriegerischen Auseinandersetzungen: es sind Bombentrichter. Heute schon mit allerlei Grün überwachsen und in meiner Jugend unter anderen Hügeln herrliche „Anhöhen" zum Rodeln im Winter. Ich sag euch, da war echt was los.
Jetzt kann man seine sportlichen Aktivitäten eben auf der Donauinsel ausleben. Im Sommer wie im Winter. Und ein Blick von der Jedlerseer Brücke ist ebenfalls immer wieder schön.
Der ehemalige Gambrinus
ch kehre um und mache mich auf den Heimweg. Als letztes Highlight zeige ich euch noch dieses Überbleibsel aus längst vergangenen Zeiten: das Gasthaus Zum Gambrinus, in unserer Familie liebevoll „der Gankerl" genannt. Es war das ehemalige Gasthaus der Brauerei.
Jetzt ist die äußere Hülle zwar - angeblich - denkmalgeschützt, doch das Innenleben hat sich stark in Richtung 08/15 verändert und verschiedene orientalisch angehauchte Lokale versuchen und versuchten an dem Standplatz ihr Glück. Ob und wie lange das derzeitige Babylon überlebt, weiß ich nicht. Allein die alte Budel (die alte Ausschank mit den Zapfhähnen) wäre wahrscheinlich ein tolles Stück fürs Museum gewesen.
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