Enricos Reisenotizen
Der junge Hitler – Neue Ausstellung im Haus der Geschichte im Museum NÖ
Das Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich präsentiert in der neuen Sonderausstellung nicht nur die prägenden Jahre des Diktators von 1889-1914, sondern auch die – nicht nur positiven – Zeitströmungen der Belle Epoque.
Der Frühling kommt und die Museen öffnen ihre Tore für ihre Sonderausstellungen. Letzte Woche war es auch im Haus der Geschichte im St. Pölten so weit.
Durch das Haus für Natur – die Stiegen hinauf in den ersten Stock – kommt man zur neuen Sonderausstellung. Wer beim Stiegenaufgang hochblickt, sieht bereits einen kleinen Jungen, der einen großen schwarzen Schatten wirft: Ein durchaus passendes Sinnbild.
Die Ausstellung beginnt mit dem Ende: 1945 – vor 75 Jahren endete der Zweite Weltkrieg. Sechs Millionen Juden wurden systematisch ermordet, wie auch drei Millionen Kriegsgefangene, hunderttausende Zwangsarbeiter, Roma und Sinti, Widerstandskämpfer und viele andere. Die ersten Tafeln und Bilder berichten davon, dann geht man weiter in den ersten Raum, indem sich die zwei Erzählstränge auftun: die schwarzen Wände in der Mitte der beiden Räume erzählen über das Leben Hitlers von 1889-1914, während sich die weißen Wände der Zimmer mit der Epoche und den Zeitströmungen auseinandersetzen.
Obwohl auch über Hitlers Jugend schon vieles berichtet wurde und ich mich eigentlich ganz gut informiert glaubte, finde ich Neues und Bekanntes:
Das Taufbuch des Pfarrarchivs Döllersheim zeigt wie aus Alois Schicklgruber (dem Vater Adolf Hitlers) Alois Hitler wurde. Der strenge Vater war Zollbeamter und musste mit seiner Familie oft umziehen, Hitler wuchs nur drei Jahre in seinem Geburtsort Braunau auf, - der oft zitierte Ort spielte in seinem Leben also eigentlich gar keine große Rolle.
Wichtiger waren seine Jahre in Linz, wo er auf die Realschule geht, zwar als begabt gilt, aber schlechte Noten nach Hause bringt. Deutschnational gesinnte Lehrer unterrichten den Jungen, ehemalige Mitschüler berichten in der Medienstation über ihren Mitschüler Adolf Hitler. Auch in diesen Berichten spielen bereits Juden eine Rolle.
Mit 16 verlässt Hitler die Schule ohne Abschluss, lehnt eine geregelte Arbeit ab und träumt von einem Leben als Kunstmaler. Erstmals werden aus dem Nachlass seines Freundes August Kubizek in dieser Ausstellung Originalobjekte gezeigt.
Darunter ein Foto von der angeblichen Jugendliebe Hitlers Stefanie Rabatsch, aber auch ein Notenblatt, das zeigt, dass Hitler im Stile Richard Wagners komponieren wollte: Beide strebten an gemeinsam die germanische Sage von „Wieland dem Schmied" zu vertonen.
Das Interesse für Musik und ihre Begeisterung für Wagner verbindet die beiden Männer. Und ich muss gestehen: sowohl Jugendliebe wie auch die kompositorischen Versuche Hitlers sind Neuland für mich.
In der Ausstellung gezeigt werden auch Bühnenbilder von Wagneraufführungen der damaligen Zeit und einige Aussprüche des Komponisten, die mich mehr als erschreckt haben, da ich eigentlich die Musik (z.B. in Tannhäuser) sehr schön finde.
Einige Beispiele gefällig? Hier sind drei:
„Die deutsche Wacht
Richard Wagner: An das deutsche Heer vor Paris (1871)
da steht sie nun in Frankreichs eitlem Herzen;
von Schlacht zu Schlacht
vergießt ihr Blut sie unter heißen Schmerzen:
mit stiller Wucht in frommer Zucht
vollbringt sie nie geahnte Taten."
„Gemeinschaftlich mit uns Mensch werden heißt für den Juden aber zu allernächst so viel als aufhören, Jude zu sein."
Richard Wagner: Das Judentum in der Musik (1850)
„Der Verderb der weißen Rasse leitet sich nun aus dem Grund her, dass sie, unvergleichlich weniger zahlreich an Individuen als die niedrigen Rassen, zur Vermischung mit dieser genötigt war, wobei sie durch den Verlust ihrer Reinheit mehr einbüßte, als jene für die Veredelung ihres Blutes gewinnen konnte."
Richard Wagner: Heldentum und Christentum (1881)
Es ist diese Verbindung zu dem zweiten Erzählstrang der Ausstellung, die mich beeindruckt hat. Für mich war die Jahrhundertwende in erster Linie Jugendstil, Aufbruch der Künste, schwelender Nationalitätenkonflikt in der Donaumonarchie, aber dass Antisemitismus und auch die Rassentheorien bereits damals so stark im gesellschaftlichen Leben verankert waren, wurde mir erst beim Besuch dieser Ausstellung so richtig bewusst.
Ebenso neu war für mich, dass der „Eiserne Kanzler" Otto von Bismarck auch auf eine große Anhängerschaft bei den Deutschnationalen in Österreich-Ungarn hatte. Wusstet ihr vielleicht, dass auch in Österreich ein Bismarckturm gebaut wurde? Und zwar von Georg von Schönerer, der diesen 1907 in der Nähe seines Schlosses Rosenau bauen lässt und rundum Eichen pflanzt, deren Samen er in der Nähe von Bismarcks Grab gesammelt hat. Außerdem veranstaltet er mehrere Jahre jährliche „Wallfahrten" zu Bismarcks Grab…
Gruselig sind auch die Politischen Bilderbögen anzusehen, die aus Deutschland stammen und eigentlich in Österreich verboten waren. Doch auch damals fand der Wille einen Weg und so kamen sie „unter der Budel" in den Verkauf oder wurden von Vereinen verschickt.
„Natürlich", so neige ich fast dazu zu sagen, ist auch Friedrich Nietzsche mit einem Zitat aus „Also sprach Zarathustra" (Band 1, 1883) vertreten:
„Seht, ich lehre euch den Übermenschen! Der Übermensch ist der Sinn der Erde. […] Ich beschwöre euch, meine Brüder, bleibt der Erde treu und glaubt denen nicht, welche euch von überirdischen Hoffnungen reden! Giftmischer sind es, ob sie es wissen oder nicht. Verächter des Lebens sind es, Absterbende und selber Vergiftete, deren Erde müde ist: so mögen sie dahinfahren!"
Auch der Herrgott von Wien, der Gründervater der Christlichsozialen Partei, Dr. Karl Lueger trug mit seinen Attacken gegen das Judentum wesentlich zum weiteren Aufflammen des Antisemitismus bei. Viermal versucht Kaiser Franz Joseph Lueger als Bürgermeister von Wien wegen seiner Hetztiraden gegen Juden zu verhindern, schließlich gibt er aber 1897 auf Bitte des Papstes nach und bestätigt ihn als Stadtvater.
Auch wenn es um 1900 bei verbalen Attacken bleibt und die rechtliche Stellung der Jüdinnen und Juden nicht angetastet wird, trägt er nicht unwesentlich zu einem Klima bei, in den der Rassenantisemitismus in seiner radikalen Form gedeihen und sich weiter ausbreiten konnte.
Doch zurück zu Hitler: 1907 wird er von der Akademie der Bildende abgelehnt: im ausgestellten Prüfungsprotokoll ist die Beurteilung „ungenügend" vermerkt. Hitler hat anscheinend sofort einen neuen Plan: wenn es mit der Malerei nicht klappt, wendet er sich eben der Architektur zu – und als auch dieser Plan scheitert, wird die Städteplanung interessant für ihn.
Als er ein zweites Mal von der Akademie abgelehnt wird, taucht Hitler unter. Die Ausstellung zeigt auch den letzten Brief, den er seinem Freund schreibt, bevor er ohne weitere Nachricht aus der gemeinsamen Wohnung auszieht.
Die finanziellen Ressourcen schwinden, der Abstieg beginnt. Nach einer „Reise" durch immer billigere Quartiere ist er schließlich 1909 gezwungen im Meidlinger Obdachlosenasyl zu übernachten. 1910 bezieht er dann eine Schlafkabine im Männerheim in der Wiener Meldemannstraße und hält sich durch die Herstellung der aquarellierten Stadtansichten (einige sind in der Ausstellung zu sehen) über Wasser.
Nach Kriegsausbruch meldet er sich allerdings freiwillig zur Bayrischen Armee und dient als Meldegänger an der Westfront. In der Armee findet er „Freunde" und ein zu Hause. Hier verschmelzen die beiden Erzählstränge der Ausstellung und versuchen aufzuzeigen, wie es einem einzelgängerischen Sonderling möglich war, zum „Führer und Reichskanzler" aufzusteigen.
Judenhass, Rassenwahn, aber auch Frauenfeindlichkeit zeichnete die Jahrhundertwende ebenso aus wie Jugendstil und neue Architektur. Für das Frauenverständnis der Zeit seien auch noch drei Beispiele aus der Ausstellung angeführt:
„Für den Mann ist die Liebe fast stets nur Episode, er hat daneben viele und wichtige Interessen; für das Weib hingegen ist sie der Hauptinhalt des Lebens, bis zur Geburt von Kindern fast immer das erste, nach dieser noch oft das erste, immer mindestens das zweite Interesse. […] Deshalb bedeutet für ein Weib der Mann, den sie hat, das ganze Geschlecht."
Richard von Krafft-Ebing: Psychopathia sexualis (1892)
„Die Fortpflanzungsvorgänge sind die Berufsarbeit des Weibes und die Ausübung derselben ist zum körperlichen und seelischen Gedeihen des Weibes notwendig."
Max Runge: Das Weib in seiner geschlechtlichen Eigenart (1900)
„Es ist das Verhältnis von Mann und Weib kein anderes als das von Subjekt und Objekt. […] Das Weib besitzt kein Ich, das Weib ist das Nichts."
Otto Weininger: Geschlecht und Charakter (1903)
Kein Wunder, das auch heute noch Bewegungen wie „Me too" notwendig sind. Könnten doch unsere Großeltern noch von diesen Ideen überzeugt gewesen sein und wer weiß, wer es heute nicht aller noch ist ...
Diese Verzahnung von gesellschaftlichen Strömungen, Ansichten, Vorurteilen, das Aufzeigen des negativen Einflusses der „Erkenntnisse" der damaligen Zeit mit dem Leben des heranwachsenden Hitlers ist es, dass diese Ausstellung im Haus der Geschichte im Museum Niederösterreich so interessant und wichtig macht.
BesucherInnen sollten durchaus die damaligen Fehlentwicklungen mit gegenwärtigen Einstellungen und Meinungen vergleichen und reflektieren. Wer das tut wird Muster erkennen können:
• Die Schuldigen für alle Missstände kommen von außen oder sind faul (Moslems und Arbeitslose)
• Diese Gruppen verhindern den Erfolg der „guten" Österreicher und sorgen dafür, dass diese immer ärmer werden
• Schuld für Misserfolg wird immer bei den anderen, nie bei sich selbst gesucht
• Es sind Zeiten des Umbruchs und damit der Unsicherheit: sowohl wirtschaftlich als auch persönlich wird das Leben als unsicher erlebt
• Die Welt wird globaler, undurchschaubarer
• Ungleichheit zwischen einzelnen Gruppen wird größer, viele sehen sich als Verlierer
• Politiker versuchen keinen Ausgleich zwischen den Gruppen herzustellen, sondern punkten mit Ausgrenzungen bestimmter Gruppen und Polemiken
• Netzwerke sorgen für Erfolg und Aufstieg – nicht Fleiß und Talent
• Gerüchte und Verschwörungstheorien stehen auf der Tagesordnung
Vielleicht fallen euch ja noch weitere Gemeinsamkeiten mit der Jahrhundertwende ein.
Meine Empfehlung jedenfalls lautet: St. Pölten ist nicht weit, von Wien aus auch mit der Bahn bequem erreichbar. Daher: hingehen und anschauen. Es lohnt sich!
Für all jene, die es vielleicht doch nicht schaffen die Ausstellung zu besuchen, noch ein Tipp: Zur Ausstellung ist ein Buch der Kuratoren Hannes Leidinger und Christian Rapp mit dem Titel „Hitler. Prägende Jahre. Kindheit und Jugend 1889- 1914" im Residenz Verlag erschienen. Eine Besprechung erfolgt bald auf askEnrico.
Sonderausstellung im Haus der Geschichte
Museum Niederösterreich
3100 St. Pölten, Kulturbezirk 5
www.museumnoe.at
Related Posts
By accepting you will be accessing a service provided by a third-party external to https://reisenotizen.ask-enrico.com/