Enricos Reisenotizen
Tränen bei Madama Butterfly
Ich bin und bleibe ein Fan der Dortmunder Oper und eigentlich bin ich keine Heulsuse bei Opernaufführungen. Im Gegenteil: die leidenden Frauenfiguren bei Puccini, sei es die Mimi in La Boheme oder eben die Butterfly sind nicht so „meins". Aber bei einer großartigen Stimme, einem hervorragenden Orchester und diesen Melodien laufen mir dann schon die Tränen über die Wangen.
Oper soll begeistern, Musik soll emotional sein. Diese Madame Butterfly in Dortmund bringt all das auf die Bühne.
Das Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann ist erstaunlich kühl, wird aber dennoch durch farbige Lichtbalken immer wieder emotional. Schlößmann kommt mit verschiebbaren, flexiblen Wänden, die an ein japanisches Heim erinnern, bei seiner Gestaltung aus. Die Kostüme von Mechthild Seipel sind auf der einen Seite „japanisch" schön, aber auch westlich bunt. So tritt die Verwandt- und Bekanntschaft von Cio-Cio-San teilweise in Miniröcken auf – meiner Meinung nach unvorstellbar im Japan um die Jahrhundertwende, auch wenn damals die große, allerdings erzwungene Öffnung zum Westen durch die Amerikaner stattfand. Aber auch das passt ins Bild von Regisseur Tomo Sugao, der nicht das wahre, traditionelle Japan dem Besucher zeigen möchte, sondern ein „Phantasie-Japan". Dazu passt dann auch die große Glücks-Winkekatze, die ich eigentlich mehr nach China verortet hätte und die am Ende - wie auch Butterfly - zerbricht.
Mit dem Kunstgriff das Stück in eine japanische Fantasiewelt zu verlegen gelingt es ihm auch, das Schicksal der handelnden Personen aus dem historischen Kontext auf eine andere Ebene zu heben und zum Nachdenken anzuregen:
Wie gehen Männer mit Frauen um? Wie gehen wir alle mit anderen Kulturen um? Wissen wir genug über die Eigenheiten anderer Kulturen und bringen wir diesen auch den nötigen Respekt entgegen oder sehen wir die anderen immer nur unter einem – unseren – engen Blickwinkel? Muss die Ehre über alles, sogar über den Tod gestellt werden?
Über all diese Fragen und noch einige mehr kann/soll man bei diesem Opernbesuch nachdenken. Aber man muss nicht. Man kann auch einfach „nur" die Musik und die wunderbaren Stimmen dieser Aufführung genießen.
Eine einzige kleine Kritik sei angebracht: Im zweiten Akt gibt es eine Szene, in der das Kind von Cio-Cio-San auf der Truhe sitzend oder auch stehend von seiner Mutter und ihrer Dienerin Suzuki - für mich endlos - hin und her geschoben wird. Die Truhe wird gedreht und dann wieder weitergeschoben und wieder gedreht – der Sinn dieses Regieeinfalls hat sich mir nicht erschlossen – im Gegenteil, die Szene ließ mich ratlos zurück. Das ist aber das einzige worüber ich matschkern (meckern) kann.
Doch nun zum Musikalischen:
Anna Sohn ist eine wunderbare, außergewöhnlich stimmgewaltige Madama Butterfly, die aber auch in die leisen Passagen all jene Emotion hinein legen kann, die mich – wie schon oben betont – zu Tränen gerührt hat. Ein Mädchen, eine Frau, die einen „Ausländer" liebt und heiratet, für ihn zum christlichen Glauben übertritt, von ihrer Familie deshalb verstoßen und von ihm schließlich verlassen wird. Doch damit nicht genug: Ihr „Mann" kommt nach drei Jahren mit seiner amerikanischen Frau zurück und nimmt ihr auch noch den gemeinsamen Sohn weg, um ihm eine bessere Zukunft in Amerika zu bieten. Das ist für Butterfly zu viel: Sie verliert alles. Im Glauben nicht mehr in Ehre weiterzuleben, wählt sie den Tod.
Anna Sohn als Butterfly ist verliebt, zerbrechlich, naiv glaubend, aber auch willensstark und bestimmend – und das alles in einer Aufführung. Toll.
Jedes Mal, wenn der Junge auf der Bühne erscheint, die Musik die Hoffnung, die Liebe und das Warten der Mutter auf den Geliebten ausdrückt und ihre Welt in Trümmer stürzen lässt, kann ich machen was ich will: ich muss einfach ein Taschentuch zücken. Wie schrecklich muss es sein, nicht nur den Geliebten, sondern auch noch sein einziges Kind zu verlieren. Und kann ich auch dieses Mal die Tränen nicht unterdrücken, die über meine Wangen laufen.
Unbedingt erwähnenswert ist auch Hyona Kim, die eine hervorragende, stimmlich ebenfalls ausgezeichnete Suzuki auf die Bühne zeichnet.
Auch Fritz Steinbacher, der den verschlagenen Heiratsvermittler Goro grandios (vor allem im ersten Akt) spielt und ausgezeichnet singt, hat mich ebenso überzeugt wie Mandla Mndebele, der den amerikanischen Konsul in Nagasaki – Sharpless - zum Besten gibt.
Andrea Shin, der den Marineleutnant Pinkerton spielt, benötigte eine kleine Anlaufphase, lief aber dann im Laufe der Oper zur Hochform auf
Auch die Dortmunder Philharmoniker unter der Leitung von Gabriel Feltz musizierten wieder in Bestform. Kein Wunder, dass es das Publikum nach dem Schlussakkord nicht mehr auf den Sitzen hielt. Großer Applaus und laute Bravorufe.
Tipp: Wer mehr über die Ideen des Leading-Teams hinter der Aufführung und auch vom Zustandekommen der Oper, über Puccini, die damalige Zeit und ihre politischen Verhältnisse erfahren möchte, sollte die Einführung vor der Oper besuchen. Dabei werden immer wieder interessante Details erzählt und die Teilnahme ist kostenlos.
Eine Frage noch zum Schluss, die mich bereits seit der Einführung quält, die mir aber sicher eine(r) meiner geneigten LeserInnen beantworten kann: Wieso heißt es Madama Butterfly und nicht Madame Butterfly?
Schaut euch das an
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