Enricos Reisenotizen
In der Nacht durch Steyr …
Mit einer Nachtwächterführung kann man Steyr unterhaltsam bei Nacht entdecken. Atemlos war ich allerdings nur beim Aufstieg auf dem Kirchturm…
Steyr. Natürlich kannte ich den Namen, aber vom reise-, kultur- oder urlaubstechnischen Standpunkt sagte es mir gar nichts. Schlecht, sehr schlecht, weil es eine sehr Besuchens werte Stadt ist – und das nicht nur zur Weihnachtszeit. So ein Glück, dass ich bei einem Gewinnspiel zwei Übernachtungen im Christkindlwirt gewonnen habe…
Wenn man dann schon da ist, sollte man sich auch das eine und andere anschauen – und die Nachtwächterführung stach mir von allen Angeboten gleich ins Auge. Daher: einfach zum Tourismusbüro im Rathaus am Hauptplatz spaziert und gebucht.
Der Tag entwickelte sich dann allerdings nicht ganz so vielversprechend. Dicke schwarze Wolken zogen am Himmel auf und verfinsterten den Himmel, bald begann auch der eine oder andere Tropfen auf den Asphalt zu fallen. So ein Wetter. Egal, das kann man sich nicht aussuchen. Aber wenn man eine Glückssträhne hat, geht das Regenwetter auch rechtzeitig wieder vorbei.
Ich genoss also während des Regengusses einen wunderbaren Salat mit gegrillten Hühnerstreifen beim Jedermann's auf dem Hauptplatz und hatte dann nur mehr wenige Schritte zum Treffpunkt vor dem Rathaus.
Gerade rechtzeitig mit dem Essen fertig geworden, stapfe ich noch etwas schweren Schrittes zum Rathaus. Dort wartet bereits die Nachtwächterin auf ihre Schäfchen, um sie durch die nächtliche Stadt zu führen.
Nach einer kurzen Einführung über die Geschichte der Stadt geht's schon los: wir starten über den Hauptplatz mit seinen wunderschönen Häusern Richtung Pfarrkirche.
Doch vorher bleiben wir noch kurz beim Bummerlhaus, dem Wahrzeichen der Stadt Steyr stehen und ich erfahren, dass in Oberösterreich ein etwas dicklicher Hund (oder wie in diesem Fall: ein Löwe) Bummerl genannt wird, der – ganz in „Gold" - das Haus schmückt. In Wien hingegen ist ein Bummerl ein schwarzer Punkt beim Kartenspielen (Schnapsen) und damit der Beweis, dass man das Spiel verloren hat. Bummerl steht daher auch als Synonym für alles Schlechte, das einem wiederfahren kann – dann hat man eben vom Leben ein Bummerl bekommen.
Dann geht es weiter hinauf zur Pfarrkirche. Ich schnaufe schon ein kleines bisschen und denke an die 282 Stufen, die mich hinauf zu dem Rundgang beim Wächterstübchen auf den Turm bringen sollen, um die Aussicht über Steyr und Umgebung zu genießen. Und da steht er schon vor uns – der hohe Turm der Pfarrkirche. Unsere Nachtwächterin holt den Schlüssel vom Mesnerhaus, sperrt die Tür auf und der Aufstieg beginnt.
Es ist eine enge Wendeltreppe, die hinaufführt. Mein Tipp: nur ja nicht zu schnell gehen – vor allem zu Beginn. Erstens kommt man dann sicher ins Schnaufen und zweitens wird man noch schwindelig. Das gilt dann auch für den Abstieg.
Wir legen beim Aufstieg einen kleinen Halt ein und erfahren so mit einem kleinen Blick auf die Glocken und Uhrwerk, dass dies noch immer händisch aufgezogen wird. Das bedeutet, dass jemand alle drei Tage die Wendeltreppe hochklettern muss, um die Gewichte wie in alten Zeiten wieder hochzuziehen. Die Kondition von dem Menschen möchte ich haben….
Endlich sind wir oben, aber ganz ehrlich: der Blick über die Stadt lohnt den Aufstieg.
Der Hauptplatz ist schon beleuchtet, ebenso wie das Schloss. Und dann noch das wunderbare Farbenspiel des Sonnenuntergangs – ich fotografiere wieder einmal alles was ich vor die Linse bekommen kann.
Hier oben hielten also früher die Nachtwächter ihre Wache über die Stadt. Sie waren es, die die Bevölkerung warnen mussten, wenn Feinde anrückten oder ein Feuer ausbrach. Manchmal allerdings soll es vorgekommen sein, dass auch sie einen Feuerausbruch verschliefen oder aber selbst einen verursachten.
Die steyrischen Nachtwächter scheinen überhaupt ein interessantes „Völkchen" gewesen zu sein. So hatten sie auch dafür zu sorgen, dass die Gastwirtschaften die Sperrstunde einhielten. Doch die Wirte, die gerne ihre Kundschaft länger bewirteten, luden daher auch gerne die Nachtwächter auf das eine oder andere Achtel oder Bier ein. Da es sehr viele Wirtshäuser in Steyr gab, kam es dann schon vor, dass der eine oder andere Nachtwächter nicht mehr seinen Weg fortsetzen konnte, was aber wieder für ihn unangenehme Folgen gehabt hätte. Was also tun?
Auch dafür fand man in Steyr eine pragmatische Lösung: Man holte einfach des Nachtwächters Frau, die sich als Mann verkleidete (Frauen durften damals zu später Stunde nicht auf der Straße angetroffen werden) und seine Runde zu Ende ging.
Nachdem wir den Ausblick über die nächtliche Stadt so richtig genossen haben, geht es die steinerne Wendeltreppe wieder hinunter. Wie gesagt: besser auch hier pomale, pomale (wienerisch für langsam, gemächlich).
Unten angekommen gehen wir an Anton Bruckner (Denkmal) vorbei zu einem berühmten und sehr wichtigen Bürger der Stadt: Josef Werndl.
Werndl übernahm nach Studien in den USA bei Colt und Remington die Führung der Waffenfabrik seines Vaters und erfand gemeinsam mit Karl Holub den Tabernakelverschluss für Hinterlader. Wichtigster Kunde war das Kriegsministerium der k.k. Monarchie, die Fabrik wurde ständig weiter ausgebaut, schließlich arbeiteten 6000 Menschen hier und die Stadt Steyr wuchs mit. Werndl förderte auch die Elektrizität aus Strom und produzierte Dynamos sowie Glüh- und Bogenlampen. Damit wurde Steyr die erste größere Stadt in der Monarchie mit einer elektrischen Straßenbeleuchtung aus Wasserkraft. Sogar Kaiser Franz Josef und Kronprinz Rudolf kamen zu Besuch, um sich von den Vorteilen zu überzeugen.
Werndl arbeitete schließlich auch mit Mannlicher zusammen und wurde der größte Waffenproduzent Europas, in seinen Fabriken arbeiteten teilweise bis zu 15.000 Menschen. Werndl zahlte überdurchschnittlich, versorgte seine Arbeiter und Angestellten mit kostenloser medizinischer Betreuung, baute leistbare Wohnungen, Schulen und Schwimmbäder.
Sein Unternehmen war der Vorläufer von Steyr Daimler Puch, die später auch Traktoren, Lastkraftwagen und PKWs herstellte, aber auch als Steyr Mannlicher die Waffenproduktion weiter forcierte. Die Unternehmen wurden bei der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten dann auch in die Reichswerke Hermann Göring eingegliedert und während des Zweiten Weltkrieges wurden auch Häftlinge des KZ-Nebenlagers Steyr Münichholz zur Arbeit in den Werken gezwungen.
Nachdenklich geht es nachdenklich die Promenade entlang zum Schloss und ich ärgere mich ein bisschen den Weg nicht tagsüber gegangen zu sein. Jetzt ist es zu dunkel, um sich wirklich an den Bäumen, Blumen und Gewächsen erfreuen zu können.
Über den Museumssteg geht es dann auf die andere Seite der Steyr. Hier steht das besuchenswerte Arbeitsmuseum, hier ist der Campus Steyr und hier waren früher auch viele Mühlen zu finden.
Es ist ein bisschen gespenstisch den Wehrgraben entlang zu gehen. Fast erwartet man, einem Nachtwächter aus längst vergangenen Zeiten zu begegnen.
Hier waren früher auch die „leichten Mädchen" zu Hause. Eine Türe mit vielen Nagelspitzen, die nach außen gekehrt sind zeigt, wie man randalierende Eindringlinge abwehren konnte. Diese Türe einzutreten wäre wirklich ein äußerst schmerzhaftes Unterfangen geworden.
An den wunderschönen alten Häusern und schummrigen Durchgängen geht es nun hinauf zum Bürgerspital, wo auch das Weihnachtsmuseum untergebracht ist und zur Michaelerkirche.
Dort, an der Brücke, genießen wir noch einmal die Abendstimmung und lauschen dem Rauschen des Wassers beim Zusammenfluss von Steyr und Enns, bevor es zurück zum Hauptplatz geht.
Fazit: Steyr ist auch im Sommer wunderschön – vielleicht noch schöner als im kalten Winter und man kann ja auch das Musikfestival oder einige Veranstaltungen mehr genießen. Die Stadt ist einen Besuch auf jeden Fall Wert und die Nachtwächterführungen (gibt es auch mit einer kulinarischen Erweiterung) sollte man sich nicht entgehen lassen.
Hier noch ein paar Impressionen:
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